Situationsanalyse Partnerbenachrichtigung bei sexuell übertragbaren Infektionen (STI) in Deutschland

Situationsanalyse Partnerbenachrichtigung bei sexuell übertragbaren Infektionen (STI) in Deutschland

Laufzeit: von 2018 bis 2019
Auftraggeber: Bundesministerium für Gesundheit
Mitarbeitende: Schu, Enders, Cannizzaro

Aufgabe

Weltweit ist Partner*innenbenachrichtigung (PB) bzw. Partner Notification ein wichtiger Bestandteil der Maßnahmen zur Bekämpfung von sexuell übertragbaren Krankheiten. Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede in der Art und Weise, wie PB umgesetzt wird. Die Weltgesundheitsorganisation, das gemeinsame Programm der Vereinten Nationen (UN-AIDS) und die international agierende NGO International Union against Sexually Transmitted Infections (IUSTI) empfehlen, Partnerbenachrichtigung auf freiwilliger Basis durchzuführen. Neuere Studien verweisen auf die Chancen technologiegestützter Methoden in der Umsetzung der anonymen PB. Auch in Deutschland wird PB diskutiert und ist in Leitlinien beschrieben, doch scheinen Kenntnisse und Methoden dazu begrenzt und das Vorgehen insgesamt wenig systematisch zu sein. Beispielsweise verweisen Leitlinien zur Behandlung von HIV, Syphilis oder Chlamydien auf die Notwendigkeit, Sexualpartner*innen zu informieren, zu testen und (ebenfalls) zu behandeln – allerdings werden Methoden zur PB bzw. zur Förderung von Motivation und Fähigkeit nicht ausgeführt.

Wir verstehen unter PB das gesamte Spektrum möglicher Maßnahmen: Von der Information der Indexpersonen über Ansteckungs- und Re-Infektionsrisiken über die Motivierung zur Information von Sexualpartner*innen und Formen ihrer Unterstützung bei der Benachrichtigung bis hin zur Partner*innenmitbehandlung (und ggf. einer Notifizierung von Sexualpartner*innen).

Angesichts des durchaus kontroversen Diskurses um PB und der sehr heterogenen Zielgruppen mit unterschiedlichen Bedarfen wurden neben einer Angebotsübersicht zunächst die fördernden und hemmenden Faktoren auf Seiten von Praktiker*innen und Klient*innen untersucht sowie Bedarfe und hilfreiche Strategien identifiziert.

Umsetzung

Zu Beginn stand eine systematische Literaturrecherche. Dabei ging es einerseits um Forschungsergebnisse zu Partnerbenachrichtigung (mit Fokus auf Deutschland) und andererseits zu Empfehlungen und Leitlinien. Die Literaturanalyse baute auf vorliegenden Reviews u. ä. auf und konzentrierte sich auf eine Aktualisierung des Materials der letzten zehn Jahre.

Die Untersuchung der tatsächlichen Umsetzung von PB in Deutschland erfolgte vor allem qualitativ durch Fachgespräche mit Praktiker*innen in insgesamt 16 anonymen Teststellen (9 NGO, 7 ÖGD) an acht Standorten: Berlin, Bochum, Bremen, Dresden, Freiburg, Hamburg, Köln und München. Durchgeführt wurden Telefoninterviews, persönliche Einzel- und Gruppengespräche sowie schriftliche Befragungen.

Den größten Fokus legte die Untersuchung auf die Erfahrungen und Bedarfe aus Sicht der Nutzer*innen von anonymen Teststellen. Insgesamt 721 Klient*innen der 16 teilnehmenden Einrichtungen wurden im Rahmen quantitativer und qualitativer Erhebungen befragt. Über diese Befragung der Zielgruppen, vermittelt über ausgesuchte Standorte/Einrichtungen, konnten erstmals belastbare Daten für Deutschland entlang unterschiedlicher persönlicher und struktureller Gegebenheiten gewonnen werden. 

Ergebnis

Die Studie wurde Ende 2019 planmäßig abgeschlossen und dem Auftraggeber Anfang Januar 2020 der abschließende Bericht vorgelegt. 

Die Ergebnisse verweisen auf große Unterschiede in der Umsetzung von PB in den untersuchten Teststellen, divergierende Haltungen und kaum einrichtungsbezogene Regeln oder Tools. Spezifische Kompetenzen für PB existieren kaum und Fortbildung zu hilfreichen Verfahren gibt es wenig.

Gleichwohl zeigen die Ergebnisse, dass etwa ein Drittel aller 721 befragten Klient*innen bisher schon mindestens einmal von einem Sexualkontakt informiert wurde, dass die Möglichkeit einer STI besteht. Generell wären die Klient*innen selbst dankbar über eine Benachrichtigung – am liebsten durch den infizierten Sexualkontakt persönlich. Das Thema PB bewegt die Nutzer*innen, viele empfinden Verantwortung für ihre Sexualpartner*innen und fast alle wollen sie informieren. Doch fällt es vielen schwer, ihre Sexualkontakte auf eine mögliche Infektion hinzuweisen. Deshalb wünschen sich vier Fünftel der befragten Klient*innen, zu Möglichkeiten von PB beraten zu werden.

Die Studie zeigt konkrete Verbesserungsbedarfe auf: PB sollte zum definierten Standard jeder Testberatung gehören und bei diagnostizierten STI immer erfolgen. Ein besonderer Fokus auf (asymptomatische) junge Personen, heterosexuelle Männer und Personen mit häufig wechselnden Sexualkontakten ist geboten. Wir empfehlen weiterhin: die kostenlose Testung von Personen, die über ein bestehendes Risiko informiert wurden, die Verankerung von PB als Aufgabe aller im Klient*innen-Kontakt tätigen Berufsgruppen, spezifische Fortbildungen für Fachkräfte: Wer soll angesprochen werden? Wann? Wie motivieren? Sinnvoll wäre zudem ein Web-Tool zur anonymen PB als zentrale bundesweite Lösung, die auf ortsnahe Beratungs- und Behandlungsangebote verweist sowie die Erweiterung des Angebots an anonymen, kostenfreien STI-Test- und Behandlungsmöglichkeiten. Schließlich zeigten sich Hinweise auf Verbesserungsbedarfe in der medizinischen Regelversorgung.

Die befragten Klient*innen wünschen sich Informationsmaterial (analog und digital) sowie Beratung und Hilfen zur Gesprächsführung bzgl. PB (wie, wann und wo Sexualkontakte informieren?) und schließlich tatsächlich verfügbare Test- und Behandlungsangebote.

Zu den Ergebnissen siehe: 

Abschlussbericht zum Teilprojekt Situationsanalyse zu Partner*innen-Benachrichtigung bei STI in Deutschland

Kurzbericht Situationsanalyse zu Partner*innen-Benachrichtigung bei STI in Deutschland

Beitrag „Wem sag ich’s? Und vor allem wie?“ – Partner*innenbenachrichtigung bei STI beim Springer-Verlag

Beitrag Partner*innen-Benachrichtigung als Präventionsmaßnahme bei STI in Deutschland beim Springer-Verlag