Laufzeit: von 2021 bis 2023
Auftraggeber: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS)
Mitarbeitende: Schu, Hartmann, Cannizzaro, Oliva, Flimm
Aufgabe
Die Diagnostik einer psychischen Störung geht bei Menschen mit Intelligenzminderung bzw. Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) mit besonderen Anforderungen einher. Selbst kundige Behandler*innen und der Einsatz spezifischer Diagnostikverfahren kommen oft an ihre Genzen. Eine Behandlung ist ebenfalls zeitaufwendig, erfordert oftmals Hausbesuche und die Unterstützung durch und die Kooperation mit anderen Helfersystemen. Aufgrund vorliegender Erfahrungen ist bei der Behandlung oftmals eine einfache Sprache wichtig und ggf. unterstützte Kommunikation, da die Patient*innen nicht im gleichen Maß mitarbeiten können wie Menschen ohne Beeinträchtigung; zudem sind andere Wirkmechanismen und Nebenwirkungen medikamentöser Therapie zu berücksichtigen. Die bisher vorliegenden Erfahrungen in der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung zeigen, dass Menschen mit Intelligenzminderung oder ASS sowie psychischen Störungen besondere und z. T. hoch zeitaufwendige Versorgungsbedarfe haben, die nur punktuell im Regelversorgungssystem gewährleistet sind.
Insgesamt kann für Nordrhein-Westfalen festgestellt werden, dass die Datenlage zu Erreichung und Versorgung dieser besonderen Personengruppen begrenzt ist. Es fehlt sowohl an belastbaren Daten zu regionalen Angeboten im klinischen und ambulanten Bereich als auch in Bezug auf die Inanspruchnahme dieser Angebote. Zudem stellt sich die Frage, wie bezogen auf die Zielgruppe der Menschen mit Intelligenzminderung oder ASS zugleich eine wohnortnahe Basisversorgung und das ggf. notwendige Spezialwissen bei den Diensten und Einrichtungen sichergestellt werden kann. Vor diesem Hintergrund hat die Landesregierung entschieden, ein Gutachten zur psychiatrischen Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung oder ASS in Nordrhein-Westfalen in Auftrag zu geben, dessen Ergebnisse dem MAGS als Grundlage für die Weiterentwicklung der Versorgung dieser Personengruppen dienen kann. Ziel war es, Erkenntnisse zu befördern zu Prävalenzen und Versorgungskonzepten, zu Notwendigkeit bzw. Möglichkeit von spezialisierten bzw. wohnortnahen Angeboten sowie zu möglichen Finanzierungsmodellen.
Umsetzung
Über einen Zeitraum von 15 Monaten hat FOGS Fachliteratur und Daten recherchiert – sowohl über einschlägige wissenschaftliche Datenbanken als auch über Verbände, Fachgesellschaften Versorgungsinstitutionen und aus sogenannter grauer Literatur. Damit einhergehend wurden regionale und überregionale Angebote für die Zielgruppen recherchiert, u. a. mittels einer Vorab-Befragung aller kommunalen Psychiatriekoordinationen in NRW. Die so ermittelten Angebote (SPZ, MZEB, ATZ, Kliniken und Ambulanzen für Erwachsene und für Kinder/Jugendliche) wurden schriftlich befragt, bspw. zu Zielgruppen, Zugangswegen, Angebotsspektrum, Finanzierung, Vernetzung Bedarfen und und Perspektiven. Zudem wurden besondere Beratungsangebote eruiert und die Sicht von Betroffenen eingeholt. Zusätzlich wurden Daten der niedergelassenen Versorgung analysiert. Die KVNO und die KVWL stellten dafür umfangreiches Material zur Verfügung, sodass erstmals die Inanspruchnahme der niedergelassenen Versorgung (hausärztliche, psychiatrische und psychotherapeutische Praxen) dargestellt werden kann. Die Arbeitsschritte wurden von Gesprächen mit dem Auftraggeber sowie mit rund 100 Expert*innen im Land vertieft und ergänzt.
Ergebnisse
FOGS hat die Ergebnisse der Untersuchungsschritte zusammengetragen und in einem umfassenden Bericht zusammengetragen, der dem MAGS Anfang 2023 zuging. Die Bestandsaufnahme in NRW zeigt auf, dass eine größere Gruppe Menschen betroffen ist und Hilfe braucht. Sie bestätigt zudem die Feststellungen in der Fachliteratur, dass der Bedarf an psychiatrisch-psychotherapeutischen Angeboten sowohl bezüglich Diagnostik als auch Therapie derzeit bei Weitem nicht gedeckt ist, das gilt in besonderer Weise für den Zugang zu Psychotherapie. Ein Blick in die Daten zur Regelversorgung zeigt, dass in psychotherapeutischen Praxen und ermächtigten Spezialangeboten in NRW nur 970 Patient*innen der Zielgruppe gesehen bzw. versorgt wurden (Stand: 2020). Dominierend ist (auch) in NRW eine pharmakotherapeutische Behandlung, oft ohne adäquate Diagnostik. Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen und komorbider psychiatrischer Erkrankung wurden noch schlechter als Menschen mit Intelligenzminderung versorgt. Insgesamt gilt, dass die Versorgung umso schlechter und schwieriger ist, je komplexer die Behinderung sich darstellt.
Die Untersuchung schließt mit einer Reihe von Empfehlungen zur Verbesserung der Versorgung. Dazu zählen an erster Stelle der Ausbau von MZEB, ein verbindlicheres Engagement des Landes sowie die Implementierung von Datengrundlagen/eines Berichtswesens, das geeignet ist, Planung und Steuerung zu qualifizieren. Regelversorgung braucht mehr Kenntnisse, mehr Sensibilität und Unterstützung durch Spezialangebote. Richtlinien, bspw. für Psychotherapie, brauchen flexiblere Regelungen und eine adäquate Vergütung. Bei der Weiterentwicklung der Versorgung sollten Betroffene/Selbstvertretungen verbindlich beteiligt werden. Die Untersuchungsergebnisse fließen nun in die Fortschreibung des Landespsychiatrieplans für NRW ein.
Der Bericht ist hier zu finden: https://www.fogs-gmbh.de/wp-content/uploads/2024/09/Gutachten-psy-Versorgung-IM-und-ASS-in-NRW-Abschlussbericht_2023_barrierefrei_MAGS_FOGS.pdf